FRAUEN BEIM BMW BERLIN MARATHON

Bis weit in die 1980er Jahre war die Teilnahme von Frauen bei Marathon-Wettbewerben alles andere als selbstverständlich. Schlagzeilen machte im Jahr 1967 Kathrine Switzer, die illegal den Boston-Marathon als einzige Frau unter Männern absolvierte. Im September 2019 werden mehr als 12.000 Läuferinnen beim BMW Berlin Marathon ins Ziel kommen. Eine dynamische Entwicklung – mit Luft nach oben
Immer wieder Startnummer 261: Kathrine Switzer (li.) vor dem historischen Foto (Boston-Marathon 1967) und beim Jubiläumslauf in Boston 2017 (re).
Immer wieder Startnummer 261: Kathrine Switzer (li.) vor dem historischen Foto (Boston-Marathon 1967) und beim Jubiläumslauf in Boston 2017 (re).
„ALS DIE LÄUFER UM MICH HERUM BEMERKTEN, DASS ICH EINE FRAU WAR, HABEN SIE MIR MUT GEMACHT. SIE FANDEN ES TOLL, DASS EINE FRAU DEN BOSTONMARATHON LÄUFT“
Kathrine Switzer (72),
Lauf Idol
Genau 12.273 Frauen erreichten beim BMW Berlin-Marathon im vergangenen Jahr das Ziel. Es war ein Rekordrennen in jeglicher Hinsicht: Der Kenianer Eliud Kipchoge brach mit einer Traum-Zeit von 2:01:39 Stunden den Weltrekord, seine Landsfrau Gladys Cherono verbesserte den Streckenrekord auf 2:18:11 und erstmals erreichten in Berlin mehr als 40.000 Marathonläufer das Ziel (40.650). Aber auch die Zahl der Frauen im Ziel bedeutete eine Bestmarke. Denn es war die höchste in der Geschichte des Rennens, das 1974 am Grunewald begann.

Im vergangenen Jahr hat das größte und spektakulärste deutsche Rennen über die 42,195 km bezüglich der spitzen- als auch breitensportlichen Ergebnisse bei den Frauen einen großen Schritt nach vorne gemacht. Doch trotzdem hat Berlin in diesem Bereichen noch Nachholbedarf. „Das ist uns durchaus bewusst, und daran arbeiten wir schon seit einiger Zeit. Zuletzt hatten wir eine sehr gute Entwicklung, die wir möglichst in diesem Jahr fortführen wollen – sowohl breiten- als auch spitzensportlich“, sagt Race-Direktor Mark Milde. Besonders bei den größten US-Rennen sowie bei britischen Läufen ist die Frauen- Quote noch ein gutes Stück höher als in Berlin. Beim Chicago-Marathon stellten die Frauen im vergangenen Jahr 46 Prozent der „Finisher“ (Läufer im Ziel), in New York waren es 42 und in London 41 Prozent. Selbst auf der schweren Strecke des Boston-Marathons, wo es Startnummern nur gibt, wenn vorher anspruchsvolle Qualifikationszeiten gelaufen wurden, erreichten im vergangenen Jahr 14.343 Läuferinnen das Ziel. Damit waren 45 Prozent aller „Finisher“ Frauen.

Eben dieser Boston-Marathon hat in seiner einmaligen, 123-jährigen Geschichte eine prägende Rolle gespielt in der Entwicklung des Frauen-Langstreckenlaufes. Allerdings passierte dies vor gut 50 Jahren – gegen den Willen der Veranstalter. Kathrine Switzer war die Frau, die 1967 den Stein ins Rollen brachte. Ohne ihre Courage hätte es sicherlich länger gedauert, bis Frauen offiziell zu Rennen über die Marathon-Distanz zugelassen worden wären. Sie startete in Boston, obwohl die Organisatoren damals nur Männer zuließen.

Mit etwas Glück kam Switzer 1967 an eine offizielle Startnummer für den Boston-Marathon. Sie wollte eigentlich einfach ohne Nummer mitlaufen, doch ihr Trainer Arnie Gibb bestand auf einer Registrierung und brachte ihr ein Anmeldeformular. „Ich fragte mich, ob ich gegen irgendwelche Regeln verstoßen würde“, erinnerte sich Switzer. Doch auf dem offiziellen Formular tauchte keine Frage nach dem Geschlecht auf – es war allen klar, dass Frauen nicht zugelassen waren. Dass die damals 20-Jährige bei der Registrierung nicht auffiel, hing damit zusammen, dass sie mit K.V. Switzer unterschrieben hatte.

„Als die Läufer um mich herum bemerkten, dass ich eine Frau war, haben sie mir Mut gemacht. Sie fanden es toll, dass eine Frau den Boston-Marathon läuft“, erzählte Switzer, die angesichts des schlechten Wetters im Kapuzen-Sweat-Shirt an den Start ging. Nach einigen Kilometern mussten die Läufer Platz machen, um die Pressefahrzeuge vorbeizulassen. Es waren Fotografen, die Kathrine Switzer zuerst sahen. „Da ist eine Frau im Rennen“, riefen sie und informierten Organisator Jock Semple. Sie schauten auf die Startlisten, fanden K.V. Switzer und sagten: „Die sieht aber nicht wie ein Karl aus!“ Semple sprang schließlich wütend aus seinem Fahrzeug. Sie sei zu Tode erschrocken gewesen, erinnerte sich Switzer, als er sie an der Schulter packte und versuchte, sie zu stoppen. „Geh zum Teufel aus meinem Rennen und gib mir diese Startnummer“, brüllte Semple. Doch Switzer lief in einer Gruppe. Darunter war ihr Freund Tom Miller, ein Hammerwerfer. Er beförderte Semple mit einem Bodycheck in den Straßengraben – und so war der Weg frei für Kathrine Switzer. Natürlich wurde sie nicht gewertet, nachdem sie nach etwa 4:20 Stunden das Ziel erreicht hatte. „Die Veranstalter wollten nichts mit mir zu tun haben, doch dass ich mit einer Nummer gelaufen war, sorgte sogar international für Schlagzeilen.“
                                  

AVON FRAUENLAUF

Ein traditioneller Höhepunkt für Läuferinnen in der Hauptstadt ist der Avon Frauenlauf (5 und 10 km). Und für die LG Nord Berlin gewann in diesem Jahr mit Rabea Schöneborn (Foto) auch eine Berlinerin: In ausgezeichneten 34:00 Minuten über 10 km kam sie mit klarem Vorsprung vor Anja Scherl (Telis Finanz Regensburg, 34:24) ins Ziel. Die Bedingungen Mitte Mai im Tiergarten: nahezu ideales Laufwetter! 17.676 Läuferinnen hatten sich für die 36. Auflage dieses Traditionslaufes angemeldet. Beim größten deutschen Charity-Lauf zum Thema Brustkrebs ging ein Euro des Teilnahmebeitrags jeder erwachsenen Läuferin an die Berliner Krebsgesellschaft. Titelsponsor Avon stockte den Betrag traditionell auf 25.000 Euro auf.
261: DIE STARTNUMMER FÜRS LÄUFERLEBEN Image 2
„Ich denke heute noch oft an die Szene in Boston zurück, denn sie hat mein Leben verändert. Dass ich damals aus dem Rennen genommen werden sollte, hat mich motiviert, etwas für die Frauen zu tun“, erzählte Switzer, die zu einer Symbolfigur des Laufsports wurde. 1972 wurden Frauen erstmals offiziell beim Boston-Marathon zugelassen. Switzer lief mit Tights und einem kurzen Kleid, um auf diese Premiere aufmerksam zu machen. Sie wurde Dritte in 3:29:51 Stunden. Noch heute arbeitet die 72-Jährige daran, mehr Frauen zum Laufen zu bringen.

Bei der Premiere des Berlin-Marathons 1974 waren Frauen zugelassen. Zehn von ihnen erreichten damals das Ziel vor dem Mommsenstadion, ein Jahr später waren es nur vier. Jeweils knapp 250 Männer liefen in den ersten beiden Jahren die Strecke. Trotzdem war es eine Frau, die während der ersten sieben Jahre des Berlin-Marathons für die spitzensportlich beste Leistung sorgte: Christa Vahlensieck gewann 1977 das Rennen um die Deutsche Meisterschaft, das in die Veranstaltung integriert war, mit einer Weltrekordzeit von 2:34:48 Stunden. Die Bestzeit wurde damals allerdings längst nicht so beachtet wie das heute der Fall wäre, da der Marathon keinen entsprechenden Stellenwert hatte.

Auch als der Berlin-Marathon 1981 in die westliche City zog, war auf die Frauen in spitzensportlicher Hinsicht immer Verlass: Zwar gab es keine Weltklassezeiten, aber von 1981 bis 1991 fiel in jedem Jahr der Streckenrekord! Nur die Masse der Frauen fehlte. Erst 1987 erreichten erstmals mehr als 1.000 Läuferinnen das Ziel des Berlin-Marathons. Zwischenzeitlich hatten 1984 die Veranstalter des SCC Berlin den Avon-Frauenlauf gegründet, um Mädchen und Frauen zum Laufen zu bewegen. Hier kam auch Kathrine Switzer ins Spiel, die die internationale Kette von Avon-Frauenläufen mit initiiert hatte und unterstützte. „Wir müssen hart daran arbeiten, die Frauen buchstäblich aus den Küchen hervorzuholen. Wenn sie erst einmal wissen, dass sie gesundheitlich vom Laufen profitieren, dann werden sie auch kommen“, sagte Switzer als sie vor einigen Jahren zum Berliner Frauenlauf zurückkehrte. Die Veranstaltung hat inzwischen rund 18.000 Teilnehmerinnen.
Gladys Cherono siegte erneut in Berlin.
Gladys Cherono siegte erneut in Berlin.

2:18:11

Die Kenianerin Gladys Cherono (36) gewann 2018 zum dritten Mal den Berlin-Marathon. Anders als bei den Männern, wo Cheronos Landsmann Eliud Kipchoge in 2:01:39 triumphierte, sahen die zahlreichen Zuschauer bei den Frauen keinen neuen Weltrekord, dafür blieben gleich drei Läuferinnen unter dem bisherigen, 13 Jahre alten Streckenrekord der Japanerin Mizuki Noguchi (2:19:12). Hinter Cherono (2:18:11) kamen in einem schnellen und lange offenen Rennen die beiden Äthiopierinnen Ruti Aga (2:18:34) und Tirunesh Dibaba (2:18:55) ins Ziel.

ENTWICKLUNG DES FRAUENANTEILS BEIM BMW BERLIN-MARATHON


Die Tabelle (unten) zeigt die Anzahl der Läuferinnen (nicht die Melde- oder Starterzahl). Angegeben ist der Frauen-Anteil aller Finisher beim BMW Berlin-Marathon im jeweiligen Jahr (dieser Wert ist gerundet) sowie die exakte Zahl der Frauen im Ziel.


1974

4 % (10 Frauen)

1980

6 % (18)

1985

7 % (664)

1990

10 % (2.391)

1995

11 % (1.406)

2000

16 % (3.547)

2005

19 % (5.871)

2010

20 % (7.066)

2015

24 % (8.910)

2018

30 % (12.273)
Nur langsam bewegte sich der Frauen-Anteil beim Berlin-Marathon zwischen 1990 und 2005 in Richtung 20 Prozent. Zwei Weltrekorde der Frauen fielen in dieser Zeit: 1999 lief die Kenianerin Tegla Loroupe 2:20:43, zwei Jahre später knackte die Japanerin Naoko Takahashi als erste Frau die 2:20-Barriere (2:19:46) – dies war einer der größten und entscheidendsten Momente für die weitere Entwicklung des Rennens.

Nachdem Mizuki Noguchi (Japan) den Streckenrekord 2005 auf 2:19:12 verbessert und Irina Mikitenko (TV Wattenscheid) 2008 mit einem deutschen Rekord von 2:19:19 gewonnen hatte, waren es jedoch immer die Männer, die die spitzensportlichen Highlights produzierten. Immerhin stieg der weibliche Anteil zuletzt auf 30 Prozent und erstmals seit 13 Jahren fiel 2018 der Frauen-Streckenrekord. Da ein weiterer Angriff auf den aktuellen Männer-Weltrekord am 29. September unrealistisch erscheint, könnten die Frauen beim kommenden BMW Berlin-Marathon wieder etwas mehr in den Fokus rücken.
Jörg Wenig
FOTOS dpa, SCC Events / camera 4

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